Donnerstag, 25.04.2013 - 17:15 Uhr
Lebensmittelallergien: Auslöser, Probleme, Perspektiven durch neue Forschungsergebnisse
FHA Vortragsreihe Sommer 2013
Vortrag von Prof. Dr. rer. nat. Stefan Vieths, Paul-Ehrlich-Institut, Abteilung Allergologie, Langen
Veranstaltungsort
Hörsaal ESA1 West (Raum 221)
Universität Hamburg
Edmund-Siemers-Allee 1
20146 Hamburg
Abstract
Die Häufigkeit allergischer Erkrankungen hat in den letzten Jahrzehnten weltweit kontinuierlich zugenommen. Lebensmittelallergien können sehr schwer verlaufen – bis hin zum Asthmaanfall oder dem lebensbedrohlichen allergischen Schock. Dabei können bereits sehr geringe Allergenmengen die klinischen Reaktionen auslösen. Epidemiologische Studien legen nahe, dass mehrere Prozent der Gesamtbevölkerung an Lebensmittelallergien leiden.
Lebensmittelallergien beruhen auf einem Irrtum des körpereigenen Immunsystems, das gegen harmlose natürliche Bestandteile der Nahrung (Eiweiße) eine unangemessene Abwehrreaktion entwickelt. Ursache ist die Bildung von bestimmten Antikörpern gegen Lebensmittelbestandteile. Diese Antikörper (Immunglobulin E ) kommen ansonsten nur in sehr seltenen Situationen vor, z.B. bei Parasiteninfektionen.
Bei einem kleinen Teil der Betroffenen mit Allergien z.B. gegen Erdnuss, Hühnerei oder Sellerie können allergische Reaktionen von weniger als 1/1000 g des jeweiligen Lebensmittels ausgelöst werden. Studien an ca. 300 Erdnussallergikern haben ergeben, dass 5 % der Betroffenen noch auf Mengen von 7/1000 g Erdnuss reagieren. Solche geringen Mengen von Erdnuss, Haselnuss, Milch oder Hühnerei können bei der Herstellung unbeabsichtigt in Lebensmittel geraten. Schätzungen gehen davon aus, dass in den USA jährlich ca. 150 Todesfälle und ca. 29.000 schwere allergische Reaktionen durch Lebensmittelallergien ausgelöst werden. Die Vermeidung unbeabsichtigter Einträge nichtdeklarierter Allergenspuren in Lebensmittel ist eine wichtige Aufgabe des Verbraucherschutzes und stellt die Lebensmittelindustrie vor große Herausforderungen.
Bei Lebensmittelallergien ist die die so genannte spezifische Immuntherapie oder Hyposensibilisierung mit Allergenextrakten, wie sie erfolgreich bei Allergien gegen Pollen, Hausstaubmilben und Insektengifte eingesetzt wird, nicht etabliert. Hypo- bzw. Desensibilisierungen bieten eine Chance, ursächlich zu therapieren. Bei erfolgreichem Verlauf werden die Symptome dauerhaft gemildert oder verschwinden sogar ganz. In früheren Studien zur Erdnussallergie traten bei dieser Form der Therapie schwere Nebenwirkungen in nicht akzeptablem Ausmaß auf, so dass sie keine Behandlungsoption darstellte. Zurzeit wird in einigen klinischen Zentren die so genannte spezifische orale Toleranzinduktion erprobt. Dabei wird den Lebensmittelallergikern in steigenden Mengen unter kontrollierten Bedingungen das allergene Lebensmittel täglich verabreicht. Die Wirksamkeit bei dieser Behandlungsmethode ist in den verschiedenen Studien noch sehr unterschiedlich. So konnte bisher noch nicht abschließend geklärt werden, wie lange die Wirkung anhält, wenn die Phase der täglichen (kontrollierten) Aufnahme des allergenen Lebensmittels beendet ist. Bei einem Teil der Patienten treten zudem erhebliche Nebenwirkungen auf, die einen Abbruch der Behandlung erforderlich machen. Nach wie vor gibt es also keine etablierte Standardtherapie für Patienten mit Lebensmittelallergien. Betroffene müssen das allergene Lebensmittel meiden und, falls ein Risiko für schwere Reaktionen besteht, Adrenalin zur Selbstinjektion als Notfallmedikament mit sich führen. Die Gefahr unerwartet eine allergische Reaktion z.B. durch nicht deklarierte Allergenspuren in Lebensmittel zu erleiden ist immer präsent und beeinträchtigt die Lebensqualität Betroffener erheblich.
Die Forschung der Abteilung Allergologie am Paul-Ehrlich-Institut beschreitet daher neue Wege, um wirksame und sichere Immuntherapien für Lebensmittelallergien zu entwickeln. Man weiß aus epidemiologischen Studien, dass Kontakt mit bestimmten Pathogenen (u.a. Bakterien) im Kleinkindalter das Risiko, eine Allergie zu entwickeln, erheblich zu mindern vermag (Hygiene Hypothese). Wir setzen deshalb bakterielle Komponenten gezielt zusammen mit Allergenen ein, um die Wirksamkeit der Immuntherapie zu erhöhen. Mit einer Kombination (Fusionsprotein) aus einem Bakterieneinweiß (Flagellin) sowie einem Allergen des Hühnereiweiß konnte in einem Allergiemodell bei Mäusen die Entstehung einer Hühnereiweißallergie verhindert werden. Flagellin A (flaA) stammt von dem Bakterium Listeria monocytogenes und ist dort der Hauptbestandteil beweglicher Geißeln. Die Immunreaktion wird ausgelöst, indem der Toll- like-Rezeptor 5 (TLR5), der u.a. auf Zellen des angeborenen Immunsystems vorkommt, das Flagellin erkennt und nachgeschaltet das Immunsystem aktiviert. Unsere Hypothese war, dass sich Flagellin nutzen lässt, um Allergien zu behandeln wenn es sich in unmittelbarer räumlicher Nähe zu dem Allergen befindet. Um diese räumliche Nähe sicherzustellen, wurde das Flagellin A mit dem Hühnereiweiß Ovalbumin mit gentechnischen Methoden fusioniert. In Zellkulturexperimenten zeigte das Konstrukt eine sehr starke immunmodulierende Wirkung, u.a. die Freisetzung des körpereigenen anti-inflammatorischen Botenstoffs Interleukin-10 (IL-10). Im Maus-Allergiemodell konnte die Entwicklung einer Allergie des Magen-Darm-Traktes durch eine Impfung mit dem Fusionsprotein verhindert werden. Auch erste Ansätze, die Kombination zur Behandlung einer bestehenden Allergie einzusetzen, verliefen erfolgversprechend.
Schülke S, Burggraf M, Waibler Z, Wangorsch A, Wolfheimer S, Kalinke U, Vieths S, Toda M, Scheurer S (2011): A fusion protein of flagellin and ovalbumin suppresses the TH2 response and prevents murine intestinal allergy. J Allergy Clin Immunol 128: 1340-1348.
Prof. Dr. Stefan Vieths ist Vizepräsident des Paul-Ehrlich-Instituts und Leiter der dortigen Abteilung Allergologie. Daneben hat er eine außerplanmäßige Professur für Lebensmittelchemie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität (Frankfurt/Main) inne und ist Beiratsmitglied des Robert-Koch-Instituts und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Prof. Vieths ist in diversen Arbeitsgruppen und Gremien aktiv, beispielsweise ist er Vorsitzender der TC 275 Arbeitsgruppe 12, Lebensmittelallergene, des CEN (European Committee for Standardisation) und Mitglied der Kommission für Ernährung, diätetische Produkte, neuartige Lebensmittel und Allergien des BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung). Er ist für verschiedenste Drittmittelgeber und wissenschaftliche Fachzeitschriften als Gutachter tätig und (Mit-) Herausgeber mehrerer Fachzeitschriften (Clinical and Experimental Allergy, Molecular Nutrition and Food Research, Bundesgesundheitsblatt). Als Chairman und Komitee-Mitglied hat er zudem verschiedene nationale und internationale Konferenzen mitgestaltet. Er ist Autor bzw. Ko-Autor von mehr als 200 Originalarbeiten bzw. Übersichtsartikeln auf dem Gebiet der molekularen Allergologie mit dem Forschungsschwerpunkt „Lebensmittelallergien“.